Klassiker,  Theater

Novecento – Die Legende vom Ozeanpianisten

Rezension Werbung

Autor: Alessandro Baricco
Preis: 10,00 €
Seitenanzahl: 96
Übersetzer: Karin Krieger
Verlag: Atlantik
Link: >> gibt es hier <<

In meinem Regal findet sich die leinengebundene kleine (ca. DinA 5) Schmuckausgabe mit den obigen Daten. Es gibt aber auch für diejenigen, denen es nur rein um den Text und nicht um eine besonders schöne Aufmachung geht, eine günstigere Taschenbuchvariante für 8,00 €. Übersetzer und Seitenzahl ist in beiden Ausgaben gleich. >> Hier kommt ihr zur Taschenbuchausgabe <<


Diese Rezension wird sich von meinen anderen ein wenig unterscheiden! Zunächst werde ich auf das Buch eingehen und danach auf die von mir besuchte Theatervorstellung im Kieler Schauspielhaus. Wer sich nur für letztere interessiert, kann also ruhig etwas nach unten scrollen.

Inhalt:


Anfang des 20. Jahrhunderts wird auf dem Passagierschiff »Virginian« ein Findelkind entdeckt. Der Maschinist Danny Boodman nimmt sich des kleinen Jungen an und nennt ihn Novecento. Das Kind entwickelt sich nach und nach zu einem Klaviertalent und begeistert auf den Rundreisen die Passagiere der »Virginian«auf sämtlichen Meeren. Doch eines tut der Virtuose dabei nie: sein Zuhause, das Passagierschiff, verlassen. Als die »Virginian« Jahre später verschrottet zu werden droht, muss sich Novecento jedoch entscheiden…
(Quelle: Atlantik Verlag)

Meine Meinung:


Novecento…

Schon das Vorwort von Alessandro Baricco mit seiner kurzen Erklärung, wieso und wofür er diesen Text schrieb, ließ mich auf einen interessanten Text hoffen.
Mein Herz gehört ins Theater, meine Seele auf die Bühne, wie diejenigen wissen,die meinem Blog schon länger folgen. Baricco schrieb diesen Text für den Schauspieler Eugenio Allegri und den Regisseur Gabriele Vacis. Diese beiden Künstler formten daraus ein Schauspiel für das Festival von Asti im Juli 1994.

Baricco selbst sieht seinen Text nicht als richtiges Theaterstück, sondern als Text, „der auf dem schmalen Grat zwischen einem richtigen Bühnenstück und einer laut zu lesenden Erzählung schwankt.“ (S.7)

Kommen wir kurz zum Aufbau des Buches:
Es gibt hier keine Kapitel oder sonstige klare Unterteilungen, auch wird der Text immer wieder von kurzen Regieanweisungen unterbrochen. Natürlich sind dennoch einige Absätze eingearbeitet, jedoch stehen diese nicht für ein mögliches Zuklappendes Buchs. Ich denke, man sollte sich für „Novecento“ wirklich Zeit nehmen und die knapp 100 Seiten in einem Stück lesen, denn die Erzählung lässt einem eigentlich keine Räume für Pausen.

Wenn man die Geschichte als eine wahrhaft mögliche Begebenheit betrachtet, ist sie wirklich etwas Besonderes… etwas Außergewöhnliches… Ein Kind ausgesetzt auf einem Schiff… ein Säugling ohne Namen… Kurz darauf hatte er einen… Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento…

„Ich habe ihn im ersten Jahr dieses verdammten neuen Jahrhunderts gefunden, stimmt’s? Ich werde ihn Novecento nennen – 1900.“ – „Novecento?“ – „Novecento.“ – „Aber das ist ja eine Zahl!“ – „Es war eine Zahl. Jetzt ist es ein Name.“

Seite 27


So kam dieses kleine Kind zu einem Zuhause und einem Namen. Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento… Er sollte sein ganzes Leben auf dem Ozean verbringen. Und er würde der größte Pianist seiner Zeit werden.

Für mich liegt der Charme dieses Buches eindeutig in der Intelligenz und der besonderen Begabung von Novecento. Und in der Ehrlichkeit des Textes! Hier wird nichts hinter zu großen, blumigen Umschreibungen versteckt, sondern einfach klar formuliert. Auch ging es hier nicht darum das Ende herauszufinden. Nein, das Ende ist uns gleich zu Beginn genannt worden. Dennoch führt uns Tim Tooney als Erzähler von Novecentos Geschichte aufs Meer hinaus:

„Weil ich sein bester Freund war, ja. Aber dann habe ich einigen Mist gebaut, und selbst wenn man mich auf den Kopf stellt, kommt nichts mehr aus meinen Taschen, sogar die Trompete habe ich verkauft,  alles,aber… diese Geschichte, nein… klar und unerklärlich wie nur die Musik war, wenn mitten auf dem Ozean das Zauberklavier von Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento sie spielte.“

Seite 21


Beim Lesen konnte man die Musik förmlich klingen hören und erahnen, wie sie sich mit dem Klang der Wellen vermischen würde.

Eine durch und durch gelungene, poetisch einfache Erzählung, die ich einfach nur genossen habe, während ich mich zwischen den Worten verlor. Um das zu verstehen, müsst ihr einfach mal in den Text hineinschauen.  

So, kommen wir zum Theaterbesuch:


Im Dezember hatte ich das Glück in die Vorstellung des Kieler Schauspielhauses gehen zu können.Ich war sehr gespannt, wie das Stück umgesetzt worden ist und ob mich Werner Klockow in diesem Ein-Mann-Stück bestehend aus einem einzigen riesigen Monolog würde überzeugen können.
Und ja das konnte er! Aber der Reihe nach:

Bildquelle: Theater Kiel, Fotograf: Olaf Struck 

Das Stück spielte auf der Studio-Bühne des Schauspielhauses. Also eine nicht allzu große Szenerie. Aber diese braucht man ohnehin nicht für dieses Stück. Auf der Bühne stand mittig ein Stuhl.
Ein recht einfaches Holzmodell. Das war quasi auch schon alles, was man brauchte. Weiter hinten lag zwar ein offener Koffer mit einer Trompete, doch diese waren wirklich nur Kulisse.
Minimalistisch!

Ich fand diese dezente Umsetzung sehr gut gewählt, da so wirklich der Text an sich, die Einzigartigkeit von Novecentos Geschichte wirken konnte. Ein großes Kompliment an dieser Stelle an die Regisseurin Lisa Gappel, die auf diese minimalistische Inszenierung setzte.


Akustisch war es eine Freude für meine Ohren. Ich bin ja auch bei Hörbüchern immer sehr wählerisch, da ich viele Stimmen nicht auf lange Zeit hören mag. Hier war dies ganz anders.
Werner Klockow überzeugte mich nicht nur mit seiner angenehmen Stimmlage, nein, auch Mimik und Gestik sorgten dafür, dass diese Erzählung wirklich nur über seine Person getragen wurde. Jegliche Requisiten waren überflüssig und ich habe diese auch keine Sekunde lang vermisst.

Die Erzählung war extrem mitreißend! Man konnte einfach nicht weghören, selbst wenn man es gewollt hätte. Ich habe es versucht, aber ganz ehrlich die Geschichte hat einfach eine viel zu starke Sogwirkung! Ich denke, der einzige Grund, warum einem dieses Stück nicht liegen könnte, ist der wenn man generell ein Problem mit Monologen hat.
Diese Sogwirkung wurde unterstützt durch den lauten und leisen Strudel der Stimme als Spiegelung des Meeres.

Werner Klockow erweckte die Geschichte des kleinen Novecento bildhaft zum Leben.Besonders bei den Erzählungen zu den Visionen Novecentos war die Vorstellungskraft der Zuschauer förmlich greifbar. Dies zeigte sich unter anderem auch in einigen Lachern oder in bedrückter Stille des Publikums.

Bildquelle: Theater Kiel, Fotograf: Olaf Struck

Obwohl die Bühne quasi ohne Bühnenbild auskam, war der Stuhl doch eine Art Ankerpunkt. Zu Beginn saß Tim Tooney (Werner Klockow) die meiste Zeit auf eben diesem Stuhl.Was man nicht vergessen darf, ist ja auch, dass uns Tim seine und Novecentos Lebensgeschichte erzählt, als dieser beinahe am Ende seines eigenen Lebens ist. Ich erwartete, dass auch der Rest des Stücks von diesem Stuhl aus gespielt werden würde. Dem war aber nicht so! Im Verlauf des Stückes wurde der Stuhl zu einer Art Tanzpartner, eine Gegenspieler und auch die Bühne wurde voll ausgenutzt.


Bildquelle: Theater Kiel, Fotograf: Olaf Struck

Das ganze Stück erschien mir melodisch wie ein Klavierstück!
Die Schnelligkeit der Worte war mehr als beeindruckend. Vor allem das Werner Klockow es schaffte, dass trotz dieser Schnelligkeit jedes Wort tief und bewegend in die Zuschauerseele dringen konnte. Absolut bewegend! Die Erzählung springt von einer „Szene“ in die nächste und ist dabei abgeschnitten ohne wirklich abgeschnitten zu sein.

Das Einzige,was ich nun einmal anmerken muss: Es wird sehr viel über Musik und Novecentos Klavierspiel gesprochen, dass es sehr schön gewesen wäre, in der heutigen Zeit der Technik, wenn leise im Hintergrund zu diesen Klavierszenen auch Klaviermusik gespielt worden wäre. Nur ganz sacht als Untermalung.   

Die Pausen im Stück erzeugten einen tollen Spannungsbogen und keine dieser Pausen erschien mir zu lang. Perfekt abgeschätzt! Ich finde immer, daran erkennt man die Erfahrung eines Schauspielers. Zu lang wird es langweilig und die Spannung verliert sich… zu kurz und die Spannung kann sich nicht aufbauen. Man muss genau den Punkt finden, an dem der Zuschauer oder in diesem Fall auch eher der Zuhörer denkt, er könnte es vor Spannung nicht mehr aushalten!

Bildquelle: Theater Kiel, Fotograf: Olaf Struck

So wird hier die komplette Lebensgeschichte Novecentos ohne Langeweile und voller Emotionen erzählt, die vor allem durch die Nähe zum Publikum noch verstärkt werden.

An alle aus Kiel und Umgebung:Die nächsten Vorstellungen sind am 05.02 und 16.02.2019 und noch sind Karten verfügbar!

Für alle anderen: Lest das Stück! Es ist wirklich wundervoll!