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Klassiker Weltreise – Station 19: New York

Die Legende von Sleepy Hollow



Eine träge, schläfrige Macht scheint über diesem Land zu ruhen und seine ganze Atmosphäre zu durchdringen. […]
Sicher ist es, dass dieser Ort noch immer unter einer Art von Zaubermacht steht, die die Gemüter des guten Volkes gefangen hält und die Ursache dafür ist, weshalb sie in einem steten Traumzustand herumwandeln. Sie überlassen sich allen Arten von Wunderglauben, sind Versuchungen und Visionen unterworfen, haben häufig seltsame Erscheinungen und hören Musik und Stimmen in der Luft. Die ganze benachbarte Gegend ist voll von Ereignissen, von Orten, die nicht geheuer sind, und anderen abergläubischen Geschichten. Sternschnuppen und Meteore schießen öfter über das Tal als über einen anderen Teil des Landes. Und der Alp, ein gespenstiges, angsteinflößendes Wesen, das des Nachts erscheint, scheint sich dieses Tal zu seinem Lieblingsplatz auserwählt zu haben. 
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Das ist Sleepy Hollow! 

Wart ihr schon einmal dort? Habt ihr schon von den grausigen Visionen der Bewohner gehört? Die Stimmen der Hexen im Wind vernommen?
Drang Ichabod Cranes Gesang von den Hügeln herab an euer Ohr?
Nein?
Dann kennt ihr auch nicht den hessischen Reiter? Den kopflosen Soldaten? Ihr seid ihm nie begegnet? Habt nie den eisigen Wind verspürt, wenn er an euch auf der Suche nach seinem Kopf vorübereilt?
Und der Name Ichabod Crane… Sagt der euch wenigstens etwas? Auch nicht… Na dann, lasst mich euch von einem Mann berichten, der sich vielleicht zu sehr in seiner Neigung zu allem Magischen, zu allem Wunderbaren verstrickt hat…
Oder vielleicht lassen wir lieber ihn selbst, oder wohl eher sein Tagebuch sprechen…

20. Juli 1791, Tagebuch des Ichabod Crane
Ein wahrlich schöner Tag ward mir heute beschieden. Die Einzelheiten spielen hier nun keine Rolle, doch eines muss ich mir doch von der Seele reden… Bevor ich am heutigen Morgen die Buben in die Schule scheuchte, bemerkte ich voller Verdruss, wie einige so taten, als würden sie vom grausigen Hessen gejagt… Mir erschien dies Spiel der Jungen sehr makaber… Soll man doch einen Geist nicht verärgern und niemals schlecht über einen Toten sprechen. Am Nachmittag hatte ich dies Schauspiel aus meinen Gedanken beinahe vollkommen verdrängt, lauschte ich doch bei einer meiner üblichen Stunden im Hause der van Tassels Katherines wunderschönen Sopranstimme, wie sie ohne jeglichen Makel, das von mir aufgetragene Lied, in den vollen Klang des Raumes schickte. Doch ich hatte wie oft über die Schönheit des Tages, die grausig, dunkle Stunde der Nacht vergessen. Ich konnte ja schlecht auf dem Boden der van Tassels nächtigen und so scheuchte ich meine schon zitternden Glieder nach dem ausgiebigen Mahl hinaus in den finsteren Wald. 
Bald nahm der Wind zu und um mich herum begann es zu heulen und im Gestrüpp zu wispern. Das Herz rutschte mir in die Beine und ich schwöre ich konnte nicht nur das Wiehern seines Pferdes vernehmen! Nein, ich spürte den heißen Atem des blutrünstigen Reiters schon im Nacken. So flink wie heute Nacht haben meine Beine mich sicherlich noch nie von einem Ort des Schreckens davon getragen. Das Schauspiel der Kinder am Morgen sollte nur eine Offenbarung meines späteren Schicksals sein… 



An dieser Stelle  möchte ich noch auf meine absolute Lieblingsverfilmung dieser vielleicht ältesten Kurzgeschichte der Weltliteratur eingehen:

Das von Tim Burton erschaffene, meiner Meinung nach, Meisterwerk zeichnet allerdings eine etwas andere Geschichte, als die von Washington Irving. Während Ichabod Crane bei Irving ein Mann des mystischen ist, jemand der an Magie und an den Hessen glaubt, widmet sich der Crane in Burtons Film, gespielt von Johnny Depp, eher der Wissenschaft. An den Hessen glaubt er erst, als es keine andere Möglichkeit mehr gibt, da er ihn mit eigenen Augen gesehen hat, bei Irving hingegen reicht die Legende für Crane aus, um sich vor dem Spukgespenst zu fürchten. Eines haben allerdings beide gemeinsam, sie sind riesige Angsthasen.
Katharine van Tassel kommt dagegen im Film tugendhafter und braver rüber, als Irving sie sich wohl vorgestellt hat. In der Kurzgeschichte beschreibt er das junge Mädchen als Kokette.
Zum größten Teil geht der Film allerdings wunderbar auf „Die Legende von Sleepy Hollow“ ein. Das Ende des Filmes ist natürlich dann doch etwas netter, als die eigentliche Story nach Washington Irving.

Und dieser Geisterstoff wird wohl auch in hundert Jahren noch zu einem der größten und eindrucksvollsten Werke der Weltliteratur gehören.



Autor: Washington Irving
Preis: 3,60 €
Seitenanzahl: 46
Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform
Leseprobe: >> gibt es hier <<
Klappentext: 
Sleepy Hollow ist ein verschlafenes Tal bei Tarry Town am Hudson River. Die Gegend übt auf seine Bewohner einen seltsamen Zauber aus. Sie haben Visionen und merkwürdige Erscheinungen. Ihre furchtbarste und zugleich beeindruckendste Erscheinung ist ein Reiter ohne Kopf. Angeblich handelt es sich dabei um den Geist eines hessischen Söldners, der seit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg dort umgeht und auf der Suche ist nach seinem abgeschlagenen Kopf. Auf seinen nächtlichen Ausritten begegnete er schon so manchem Bewohner. Auch der Schulmeister Ichabod Crane wird von den Geschichten des Tales magisch angezogen und eines Tages steht er dem schrecklichen Reiter gegenüber.