Biographie,  Gegen das Vergessen

Reise gegen das Vergessen: Der Junge auf der Holzkiste

„Mister Leyson, ich bin so froh, dass Sie es geschafft haben.“  Dieser Satz eines Schülers bewegte Leon Leyson zutiefst. Doch nicht nur dieser Schüler sprach Leyson auf seine Geschichte an, nachdem am 23.Januar 1994 ein Artikel mit eben dieser veröffentlicht wurde. Mit diesem Artikel wurde der Grundstein für viele Vorträge gesetzt, die Leon Leyson gerne hielt, obwohl er immer wieder den Schrecken und die schmerzlichen Verluste seiner Kindheit durchlebte.

Leon Leyson war ein sehr begabter Mann. Er hatte ein gutes Gehör für Musik und für Sprachen. Er sprach Englisch, Jiddisch, Polnisch, Hebräisch und Deutsch, Russisch, Ungarisch und ein bisschen Tschechisch, Japanisch und Spanisch. Er liebte Lieder in Moll, hatte einen schwarzen Gürtel in Judo, spielte ziemlich gut Tennis und war ein ausgezeichneter Bowlingspieler.  Leon Leyson führte ein schönes Leben in Amerika. 39 Jahre lang lehrte Leon als Lehrer an der Huntington Park High School. Dort lernte er auch seine Frau kennen. In seinem Leben war er Sohn, Bruder, Vater, Ehemann, Onkel und Großvater.

Doch lange Zeit wusste niemand, was Leon Leyson wirklich durchgemacht hatte. Bis zum 23.Januar wusste niemand, dass es ein Kind namens Leib Lejzon gab. Ein Kind dem Oskar Schindler durch seine Liste das Leben rettete. 

„Ich weiß, wer du bist“, sagte er mit einem Aufleuchten in den Augen. „Du bist der kleine Leyson.“
Ich hätte wissen müssen, dass Oskar Schindler mich nie enttäuschen würde. (S.10)

Leon Leyson wurde 1929 unter dem Namen Leib Lejzon in Narewka, einem kleinen Bauerndorf im Nordosten Polens geboren. Er war das jüngste von fünf Kindern. Später zog die Familie nach Krakau, wo der Vater in einer Glasfabrik arbeitete.
Als der zweite Weltkrieg begann, fürchtete man, dass kräftige Männer zur Zwangsarbeit eingezogen werden würde, wie es schon einmal der Fall war. Leons Vater und sein ältester Bruder Herschel beschlossen die Flucht nach Narewka anzutreten, um nicht eingezogen zu werden. Doch der Vater kehrte bald zurück, da er seine jüngsten Kinder und seine Frau nicht alleine zurücklassen wollte. Herschel sollte alleine nach Narewka fliehen.
Später sollte die Familie erfahren, dass er dort nicht in Sicherheit war.
„Nun erfuhren wir, dass Herschel tatsächlich bis Narewka gekommen war, jedoch nur, um dort an jenem schrecklichen Tag im August von den SS-Mördern umgebracht zu werden.“ (S.167)

Im März 1941 zog die Familie Leyson ins Krakauer Ghetto. Schon beim Einzug hatte Leon das Gefühl er würde an einen Ort ziehen, der sein Friedhof werden sollte.
Am 08.Juni kam der nächste Schicksalsschlag. Leon verlor seinen geliebten Bruder Tsalig.
Der inzwischen 17-Jährige hätte einen eigenen Blauschein benötigt, den er aber nicht besaß. So nahmen die Soldaten in mit und steckten ihn in denselben Zug, in dem sich auch Itzhak Stern befand.

In solchen Viehwaggons wurden die
Häftlinge transportiert…

Oskar Schindler läuft auf dem Bahnsteig entlang und ruft nach seinem Buchhalter. Diese Szene
kennen so viele Menschen, doch was der Film nicht zeigt, Schindler entdeckte einen Jungen im Zug und erkannte in ihm den Sohn seines Arbeiters. Er könnte ihn retten, doch der Junge will seine Freundin nicht im Stich lassen. Tsalig kam im Lager Belżec in einer Gaskammer ums Leben, weil er aus Liebe zu seiner Freundin sein eigenes Leben opferte.
Noch Jahre später hoffte Leon insgeheim, sobald er einen Menschen sah, der Tsalig ähnelte, dass sein Bruder heimgekehrt sei…

Das Konzentrationslager Plazów

„Als wir uns später dem Lager Płazów näherten, war ich noch immer voller Freude darüber, dass es mir gelungen war, das Ghetto zu verlassen. Es war mir nur wichtig, wieder mit meiner Familie zusammen zu sein. Doch als wir Płazów betraten, sah ich eine Welt vor mir, die weit schlimmer war, als ich es überhaupt für möglich gehalten hätte. Wer durch diese Tore ging, hatte das Gefühl, den innersten Kreis der Hölle [zu] betreten.“ (S.109)

Göth in alliierter Internierung, August 1945

Leon wurde von seiner Familie getrennt und von den Nazis als zu schwach angesehen, dennoch
schaffte er es, sich in den Transport der kräftigen Männer zu schmuggeln. So wurde er nach Płazów gebracht, wo er bald auch wieder auf seine Familie traf. Doch waren sie in getrennten Abteilungen des Lagers untergebracht.
Das Lager war die Hölle, geführt von dem Sadisten Amon Göth mussten die Inhaftierten ständig darum fürchten, ohne jeden Grund erschossen oder gefoltert zu werden, nur weil Göth Spaß daran hatte.
(Am 13.September ’46 wurde der „Schlächter von Plazów“ als verurteilter Massenmörder erhängt. )

Doch bald sollte sich für die Familie Leyson alles ändern. Oskar Schindler hatte Leons Vater Mosche schon vor der Deportation nach Płazów in seiner Emaillewarenfabrik angestellt. Nun stellte er auch noch Leon, seinen Bruder David, seine Schwester Pesza und seine Mutter Chanah an. Durch den Bau des Nebenlagers war die Familie sicher vor den sadistischen Spielen Göths.

„289. Lejzon Leib“ der damals 12 oder 13 Jährige Leon Leyson auf Schindlers Liste

Oskar Schindler rettete Leon Leyson und seiner verbliebenen Familie das Leben, weil er daran glaubte, „dass [ihre] Leben etwas wert waren und dass es sich lohne, [sie] zu retten, sogar wenn er sein eigenes Leben aufs Spiel setzte.“ (S.11) 

Diese Post machte den emotionalen
Reiseabschnitt erst möglich.

Am 12.Januar 2013 ist Leon Leyson gestorben, doch er erlebte noch, dass sein Manuskipt, seine Lebensgeschichte, von Peter Steinberg betreut werden sollte. Die Veröffentlichung des Buches, seines Buches konnte er leider nicht mehr miterleben.  Seine Frau Elisabeth B. Leyson schrieb im Nachwort:
„Der Antrieb, der Leon dazu brachte, seine Geschichte Jahr um Jahr zu erzählen, obwohl er jedes Mal den herzzerreißenden Kummer wieder erlebte, war, das Andenken an seine Familie und an die Millionen anderen Opfer des Holocaust zu ehren. Ich weiß, dass es ihn glücklich machen würde, zu wissen, dass mit diesem Buch die Erinnerung, an seinen Helden Oskar Schindler und an die Zeiten unaussprechlichen Elends für Generationen bewahrt bleiben.“ (S.197)

In Gedenken an all die Menschen, die Schindler nicht retten konnte, doch auch an die, die er retten konnte. Leib Lejzon war der Jüngste auf Schindlers Liste. Ich hoffe sehr, dass ich mit diesem Bericht ihm und seinem Wirken gerecht geworden bin. 
Solange es Menschen gibt, die jedes Leben wertschätzen, gibt es Hoffnung.

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6 Kommentare

  • glitzerfee

    Ich kann mir vorstellen, dass dir diese Rezebsion schwer gefallen ist. Du hast sie aber ganz zauberhaft hinbekommen und ich hoffe sehr, dass ganz viele diese Rezension lesen und das Buch in die Hand nehmen werden. Es ist kein leichtes Thema aber dennoch sollte man davor nicht die Augen verschließen.

    Liebe Grüße,
    Vanessa

    • Ronja

      Dankeschön ^^
      Er hat tatsächlich ziemlich viele Aufrufe bisher. Ich hoffe ganz viele Menschen dadurch erreichen zu können. Die Augen zu verschließen fällt uns oft so leicht, da gibt es noch eine Menge anderer Themen, aber es ist gerade dann wichtig, die Augen offen zu halten und darauf einzugehen.

  • Anonym

    Ich finde mein eigenes Lesen in deinem bewegenden Artikel wieder und bin ganz besonders froh, dass genau dieses Buch in deinen Händen gelandet ist. Du hast das Herz am richtigen Fleck und die Gedanken an die Vergangenheit in die Zukunft gerichtet.

    Eine würdige Rezension gegen das Vergessen…