Was fehlt, wenn ich verschwunden bin
Gastrezension
Autor: Lilly Lindner
Preis: 9,99 €
Seitenanzahl: 400
Verlag: Fischer
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Zwei Schwestern, eine zerstörerische Krankheit und viele wundervolle Briefe.
Wie soll man den Schmerz und die Sehnsucht zweier Schwestern beschreiben, die sich nichts sehnlicher wünschen, als beisammen zu sein und die Welt mit Wörtern und Liebe zu bereichern?
Inhalt:
Phoebe ist verzweifelt, denn ihre große Schwester April ist krank. Sehr krank. Sie leidet an Magersucht und verliert sich immer mehr in ihrer Einsamkeit.
Als die beiden durch einen unausweichlichen Klinikaufenthalt getrennt werden, beginnt für sie die wohl schwierigste Zeit ihres Lebens.
Phoebe kämpft darum weiterhin gehört und gesehen zu werden, doch ihre Eltern sind derart in ihren eigenen Kummer versunken, dass sie sich an ihren Briefen festhält, die sie April schreibt.
Sie ist überzeugt davon, dass ihre Worte Gewicht haben und etwas Schönes in sich tragen und April dazu bewegen können, zu kämpfen. Für ihr Leben, für ihre Zukunft und für all die unausgesprochenen und ungehörten wundervollen Worte in ihrem Kopf.
„Ich schenke dir meine liebsten Worte. Damit du wieder ganz viel sprechen kannst, so wie früher. Denn kein Schmerz der Welt ist größer als dein Verstand. Und keine noch so hungrige Stille hat das Recht, deine Stimme zu verschlucken.“ (Seite 267)
Meine Meinung:
Kaum ein Buch konnte mich so tief berühren, schockieren und gleichzeitig zur Verzweiflung treiben wie „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“.
Absolut ehrlich und schonungslos entführt Lilly Lindner uns in eine Geschichte, die kaum vorstellbar und doch real ist und tagtäglich unentdeckt um uns herum genauso geschieht.
Lilly Lindner hat einen ganz außergewöhnlichen Schreibstil und besticht mit einer solchen Sprachgewalt und wunderschönen Aussagen, dass man gar nicht genug Zitate aus diesem Buch sammeln kann.
Die Geschichte wird ausschließlich in Briefen erzählt, und auch wenn diese Briefform kein Novum in der Literatur ist, schafft sie doch in diesem Buch eine ganz besondere Atmosphäre, mal bedrückend und verzweifelt und dann wieder voller Liebe und Bewunderung.
Phoebe und April verbindet eine ganz eigene Beziehung, die geprägt ist von tiefer Zuneigung und Verständnis, aber auch von Angst und Verzweiflung.
Die beiden Mädchen scheinen so stark und ihrem Alter voraus zu sein, das es fast schmerzhaft ist, ihr Leid und ihre Hoffnungslosigkeit mitzuerleben .
An vielen Stellen der Geschichte, war ich einfach nur wütend und verzweifelt, ich wollte April in die Arme schließen und ihr zuhören und versuchen all die schlimmen Dinge die ihr zugefügt wurden, durch Taten oder unbedachte Worte, fortzunehmen und durch wunderschöne Momente zu ersetzen.
Es ist unvorstellbar, wie es manchen Eltern gelingt ihr Kind, durch Desinteresse, Überforderung oder schlichtweg Bosheit auszugrenzen und langsam aber sicher zu zerstören.
„Ich war acht Jahre alt. Und ich hatte gerade erst angefangen zu hungern. Ich wusste noch nicht, was Magersucht ist. Aber eines wusste ich: dass der nagende Schmerz in meinem Bauch besser war als die Einsamkeit in meinem Kopf.“ (Seite 295)
Dennoch besticht dieses Buch auch durch wunderbare kindliche Weisheiten, Wortwitz und ganz besondere Charaktere, die mit so viel Zuneigung und uneingeschränktem Vertrauen miteinander
umgehen, dass man zwischendurch auch lächeln kann und den Glauben an die Freundschaft, Familie und das Gute und Einzigartige in unserer Welt nicht verliert.
Fazit:
„Was bleibt, wenn ich verschwunden bin“ ist definitiv kein Buch für nebenbei.
Man sollte sich auf die Geschichte einlassen und bereit sein, mit ganzem Herzen gefangen zu werden und die Gefühle Achterbahn fahren zu lassen.
Ein Roman, der mich tief berührt, schockiert und fassungslos zurück gelassen hat.
Aber auch eine Geschichte über die Kraft der Worte, Freundschaft, bedingungslose Liebe und Vertrauen, die Hoffnung schenkt, dass es nur dieser Dinge bedarf, um die Welt zum Guten zu verändern.
„Rücksicht nehmen ist eine schöne Wortzusammenstellung. Weil es klingt, als würde man sich umdrehen, jemanden sichten und dann zurückgehen, um für ihn da zu sein.
Ich werde immer für dich zurückgucken. Und auch nach vorne und zur Seite.
Überallhin wo du gerade bist.“ (Seite 37)
2 Kommentare
fantasylife
Das ist wirklich eine gute Frage, was bleibt von einem übrig, wenn man nicht mehr ist? Oder fehlt man gar jemandem? Ein philosophisch angehauchtes Buch habe ich schon lange nicht mehr gelesen.
Es ist grausam, wenn Eltern ihre Kinder durch Missachtung in Süchte treiben o.ä., aber es kommt leider gar nicht so selten vor,
Das Buch klingt wirklich sehr interessant.
Liebe Grüße
fantasylife
Ronja
Ich persönlich fand das Buch auch so interessant, dass ich mich gleich mal bei Vorablesen.de dafür beworben habe und nun wird es demnächst auch noch meine eigene Meinung zu dem Buch geben. Die Thematik des Buches ist wirklich selten so ausgearbeitet worden und gerade das Briefformat ist sehr ansprechend.
Liebe Grüße aus der Bücherstöberecke