Gegen das Vergessen

Goldene Steine

Rezensionsexemplar

Autor: Cornelia Franz
Preis:  14,00 €
Kindle:  9,99 €
Seitenanzahl: 208
Altersempfehlung: ab 12 Jahren
Verlag: Carlsen
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Zu Beginn: Diese Rezension kann leider nicht ganz ohne Spoiler leben, da ich ein paar wichtige Punkte ansprechen muss, die für mich eine wichtige Rolle spielen, um dieses Buch empfehlen oder eben auch nicht empfehlen zu können.


Inhalt:

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Frühjahr 2023: Leon hat beim Herumalbern einem Mann auf der Straße sein Käppi vom Kopf geschnappt, ohne zu begreifen, was er da tut. Als er es später aus Jux aufsetzt, wird er von zwei Unbekannten brutal zusammengeschlagen – aber warum? Nikolai ahnt, dass der Angriff auf Leon eigentlich ihm galt. Schließlich ist er einer der wenigen Juden in der Gegend hier. Doch wer kennt überhaupt die Herkunft seiner Familie? Yara wohnt in einem Haus mit Stolpersteinen vor der Tür. Immer wieder kreisen ihre Gedanken um das Mädchen Ella, dem einer der Steine gewidmet ist. Ist das alles inzwischen längst Geschichte? Als die drei sich kennenlernen, finden sie nicht nur viel über die Hintergründe der Tat heraus, sondern auch über sich selbst – und über den Wert von Freundschaft …


Meine Meinung:

Einen Blick auf die Meinung der Kinder- und Jugendlichen zum Thema Holocaust und Nationalsozialismus zu werfen ist wichtig. In der heutigen politischen Situation umso mehr…
Wie ihr wisst, gebe ich Büchern zu diesem Thema hier gerne Raum und freue mich immer, wenn es neue Bücher gibt, die auch Kindern diese Zeit und diesen Teil der Geschichte nahebringen.
Leider kann ich „Goldene Steine“ aber nicht mit gutem Gefühl weiterempfehlen. Vor allem nicht in der Zielgruppe ab 12 Jahren. Was besonders bedauerlich ist, weil der Ansatz des Buches wirklich großartig gelungen ist:

Als Yara mit ihrem Vater in eine kleinere Wohnung umziehen muss, lässt sie nicht nur ihr gemütliches Zuhause und ihre nette ältere Nachbarin zurück, sondern auch die drei goldenen Steine vor ihrer Tür… Früher wusste sie nicht, was sie bedeuten, bis ihr Frau Winter die Geschichte von Ella und ihren Eltern erzählte…
Ella war ihre beste Freundin. Sie hatte einen tollen langen Zopf, um den Frau Winter sie beneidete. Und sie führte kleine Puppentheater für die Nachbarskinder im Hof auf. Ella war lustig, lebensfroh und sie durfte nie erwachsen werden.
Eines Tages war Ella nicht mehr da. „Abgeholt“, flüsterten die Erwachsenen hinter vorgehaltener Hand…
Frau Winter dachte lange, ihre Freundin sei nur in ein anderes Land gefahren, da ihre Eltern so oft über die Schweiz sprachen. Es war ein anderes Land, aber es war nicht die Schweiz. Es war Polen… Genauer gesagt waren sie in Chelmno… Und sie sollten diesen Ort nicht mehr lebend verlassen… Ella war erst 11 Jahre alt, als sie starb.

Aufgrund dieser Erzählungen von Frau Winter entwickelt Yara eine starke Abneigung gegen den Nationalsozialismus und besonders den Holocaust. Als sie Leon kennenlernt, der von zwei Neonazis zusammengeschlagen wurde, weil sie dachten, er wäre ein Jude, versteht sie, dass die Ausgrenzung und der Hass von damals auch heute leider noch eine Rolle spielt und drängt den Jungen dazu zur Polizei zu gehen. Doch die Polizisten nehmen Leon nicht ernst, da er gar kein Jude ist, sondern die Kippa, wegen der er geschlagen wurde, selbst gestohlen hat. Wobei man Leon zu Gute halten muss, dass er dachte, es wäre ein normales Käppi. Er wusste nichts von der religiösen Bedeutung. Was es natürlich dennoch zu einem Diebstahl macht. Im weiteren Verlauf der Geschichte komm Nikolai hinzu, der nun wirklich zur jüdischen Gemeinschaft der Stadt gehört und gemeinsam beschließen die Jugendlichen etwas gegen die Nazis in ihrem Viertel zu unternehmen.

Den Gedanken, dass sich die Kinder auflehnen, zur Polizei gehen und etwas unternehmen wollen, weil sonst wieder jeder am Ende sagt, sie wussten doch von nichts, fand ich an sich gut gelungen im Buch.
Aber gerade die Geschichte von Ella hätte für mich doch etwas mehr ausgeschmückt sein können. Ich bin leider mit der Umsetzung der Geschichte nicht sehr glücklich ehrlich gesagt. Besonders ein Punkt hat mich im Hinblick auf die Altersempfehlung des Buches sehr gestört. Nikolai, Leon und Yara sind um die 14 Jahre alt. Damit sind sie alle zu jung um Alkohol zu trinken. Natürlich weiß ich, dass die Jugend immer früher „erwachsen“ wird und ich kann auch verstehen, wenn man mal ein Bier probieren will oder ähnliches. ABER wenn das Getränk der Wahl Bier ist, finde ich das in einem Buch ab 12 Jahren wirklich nicht okay. Jedes Mal wenn sich die Jugendlichen treffen, um die nächsten Schritte zu besprechen, wird dabei Bier getrunken. Als Leon auf dem Bahnsteig wartet, versucht er ein Bier zu kaufen, bekommt aber keins und meckert daraufhin, dass er in seinem Stadtteil überall welches bekommen würde. Nikolai geht in einer Szene sogar in einer Bar trinken, während er sich ein Fußballspiel anschaut. Dabei werden des weiteren mehrere Schnäpse getrunken, wenn ein Tor fällt oder ein Elfmeter gehalten wird… Klar, dass ihm in dem benebelten Zustand dann auch nicht mehr auffällt, dass er selbst Nazilieder grölt und mit dem Kerl, der Leon zusammengeschlagen hat, feiert. Diese Szene zeigt natürlich, dass wenn die Vorurteile unter den Tisch fallen, hier durch den Alkohol, ein friedliches Miteinander möglich ist, aber hätte man diesen Gedanken nicht auch anders verpacken können?
Ich finde den Alkoholgehalt des Buches deutlich zu hoch, als dass ich es mit gutem Gewissen in der angesprochenen Altersgruppe weiterempfehlen könnte. Zumal die Jugendlichen auch keinen Ärger von ihren Eltern dafür bekommen. Yara nimmt das Bier aus dem Kühlschrank ihres Vaters, ihm scheint es nicht aufzufallen, dass plötzlich drei oder vier Flaschen auf einmal fehlen… Leons Eltern sind lieber am Handy als sich mit ihrem Sohn zu beschäftigen, solange die Schule funktioniert… Und Nikolais Mutter spricht zwar aus, dass er nach Bier riecht und er noch nicht alt genug dafür ist, aber dreht sich auch im selben Moment um und geht kochen. Wenn ich nach dem Lesen schon dachte, ich könnte gut mal wieder ein Bier trinken, was denkt sich dann ein 12-jähriger beim Lesen… Cool, mal ausprobieren?
Vor allem bis auf in der Szene in der Kneipe spielt es inhaltlich keine Rolle, ob sie Wasser, Cola oder halt Bier trinken, warum muss ich dann zum Alkohol greifen lassen?

Schwierig fand ich auch die Verfolgung eines Neonazis. Die Jugendlichen heften sich an seine Fersen, sind zu dritt und haben am Ende Glück, dass eine Auto auf den Parkplatz einbiegt und der Nazi die Beine in die Hand nimmt und wegrennt. Es wird danach nicht einmal erwähnt, dass es gefährlich war, ihm einfach hinterherzugehen um dunkle Ecken, über den dunklen Parkplatz… Nur die Euphorie bleibt, dass der Neonazi weggelaufen ist. Die Gefahr, die leider in dieser Situation wohnt, wird außer Acht gelassen. In der Situation selbst hat Leon zwar Angst und Nikolai ist wütend, doch danach feiern sie, natürlich wieder mit Bier, und halten sich für besonders stark.

Aber nochmal zurück zum eigentlich gewollten Inhalt des Buches:
Den Blickwinkel von Nikolai fand ich sehr interessant, aber auch nur halb ausgestaltet leider.
Nikolai gibt an, dass er selbst kein Fan von Stolpersteinen sei, da man so ständig an die Vergangenheit und die schreckliche Gewalt damals erinnert werde. Auch ärgere es ihn, dass jeder tuscheln würde und das Gefühl hätte über Juden nicht reden zu dürfen. Die meisten würden mit dem Wort Jude nur den Holocaust verbinden und einen mitleidig ansehen… Direkt danach erzählt er Yara aber, dass er gut finde, dass für seine Großeltern und andere Familienmitglieder Stolpersteine in anderen Städten liegen würden. Ein Widerspruch in sich leider…

Ich habe mich bis hierhin nie wirklich mit den Gedanken der jüdischen Jugend zum Thema Holocaust auseinandergesetzt.
Zum Großteil kommt das denke ich auch aus dem Grund, dass heutzutage kaum jemand weiß, wer welcher Religion angehört. Früher lebte man seine Religion mehr in der Öffentlichkeit und die Leute wussten, wer zu welcher Gemeinde gehörte. Wer in die Kirche und wer zur Synagoge ging. Unsere Stadt hat Kirchen, Synagogen, Moscheen, buddhistische Tempel und sicherlich noch mehr religiöse Häuser und Orte. Dennoch weiß ich in den wenigsten Fällen, welche Glaubensrichtung der Mann von nebenan hat. Letztens habe ich durch Zufall erfahren, dass ein Teil der Familie eines Nachbarn Juden waren. Der Pastor erzählte bei der Trauerfeier von Flucht und dem Judentum der Eltern.
Heutzutage spielt die Religion nicht mehr so eine große Rolle in der Gesellschaft, sollte man meinen… Und sie sollte es zumindest nicht… Doch „Goldene Steine“ zeigt deutlich auf, dass leider auch heute der „Rassengedanke“ und die Diskriminierung nicht vom Tisch sind und sich auch in körperlicher Gewalt zeigen, was sich in unserer Gesellschaft nicht nur auf das Judentum bezieht. Leider rutschen Religionen wieder mehr in den Blickpunkt, wenn es um Politik und die Dynamik unserer Gesellschaft geht.

Ich finde Bücher zu solch aktuellen und brisanten Themen wichtig und auch gerade für die jüngere Generation, doch wie gesagt, kann ich dieses Buch nicht ab 12 Jahren empfehlen, da mir der Alkoholgehalt einfach zu hoch ist und das auf nur 208 Seiten. Auch bin ich der Ansicht, dass leider nicht das volle Potential dieser Geschichte ausgeschöpft wurde.

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